Kennst du Momos? In der griechischen Mythologie war er der Gott des Tadels und des Nörgelns. Sein römisches Pendant hieß übrigens Querella – von da ist es nicht weit zu „Querelen“ und zu „QuerulantInnen“. Momos fand an allem, nicht zuletzt den anderen Göttinnen und Göttern, so viel auszusetzen, dass Zeus ihn aus dem Olymp warf …

Auch wenn dir Momos bislang unbekannt war – eine negativ orientierte innere Stimme, die alles schlechtredet, kennst du ganz bestimmt. Da wir das Querulantenproblem nicht so radikal lösen können wie Zeus, habe ich einen anderen Weg gefunden, um konstruktiv mit unserem „inneren Nörgler“ umzugehen: das „Emmentaler-Prinzip“.

Momos im Biergarten und die Löcher im Käse

Gehen wir gedanklich mit Momos in einen schönen bayerischen Biergarten. Vermutlich würde er loslegen: Die Kastanienbäume machen ihm zu viel Schatten, das Bier ist zu bitter, die Brezen sind zu salzig und die Radieschen zu scharf. Vertraut mit Schafs- und Ziegenkäse, würde er bei einem Stück Emmentaler garantiert sofort an den großen Löchern herumgemäkelt: „Da ist ja gar nix! Da fehlt ja was! So etwas kann kein richtiger Käse sein.“

Nörgeln und nölen, bekrittelnd und sich beschweren, unzufrieden sein, schlechtreden, pessimistisch denken, alles mit einem Defizitblick betrachten … Wie Momos kann unser innerer Nörgler das alles prima – manchmal im Zusammenspiel mit dem inneren Kritiker! Wir schauen oft nur auf „die Löcher im Käse“, auf das, was nicht da ist, was fehlt, was nicht gut läuft.

Mit so einem Blick bringst du Dich in eine Abwärtsspirale und schwächst dich damit selbst. Das wirkt im Alltag oft regelrecht als sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Was würde denn passieren, wenn du dich stattdessen auf das konzentrieren würdest, was DA ist? Lenke den Blick auch auf den „Käse“, schau auf das Positive!

“Isso”: Wahrheiten über unseren Balkon

Bei „Biergarten“ muss ich sofort an unseren Balkon denken, von dem ich dir hier auf dem Blog öfter erzähle: ein kleiner Altbauküchenbalkon im dritten Stock mit Blick auf eine Hinterhoflandschaft samt Biergarten. An ihm kann ich dir eine meiner „Emmentaler“-Methoden aufzeigen. Sie hat vier Buchstaben und lautet „isso“.

Momos würde über unseren Balkon vermutlich sagen: „Er ist klitzeklein, man findet nicht mal für drei Personen Platz. Die Sonne knallt drauf. Vom Biergarten unten hört man die Leute bis nachts um elf. Von dort und von der Wirtschaft ziehen Essensgerüche hoch. Er ist nicht groß genug, um Beeren oder Gemüse drauf zu ziehen. Er ist ganz und gar nicht chic.“

Tja, manche Tatsachen sind unbestreitbar, da beißt die Maus keinen Faden ab. Ich würde Momos antworten: „Stimmt. Das ist so, kurz: Isso. Und zugleich stimmt: Dieser Balkon ist für mich wie ein weiteres Zimmer. Er ist mein geliebtes Gärtlein, bunt und duftend. Ich ziehe auf ihm neben Blumen auch Küchenkräuter und Tomaten, in den Kästen habe ich sogar schon Salatpflänzchen angebaut. Dort betreibe ich ‘Urban Gardening Sandra-style’. Er ist meine Lese- und Schreiboase unter einer Markise und einem sonnengelben Schirm, eine der Orte meiner Seelenbalsam-Manufaktur. Ich kann auf ihm laue Abende genießen. Und die Biergartengeräusche sind für mich wie das Brummen eines Bienenschwarms. Nach elf herrscht komplette Ruhe …“

“Stimmt – und zugleich“

Merkst du, worauf ich hinaus will? Es genügt mir nicht, dem Blick auf die „Löcher“ den Blick auf „den Käse“ entgegenzusetzen. Ich versuche, das Ganze zum „Emmentaler“ zu verbinden. Denn die Löcher gehören untrennbar zu ihm, sie spenden ihm Aroma. Erst in der Summe schmeckt er köstlich!

Wenn unser innerer Nörgler Negatives benennt, übernimmt er eine Warnfunktion. Wir sollten daraufhin genau schauen, ob sich etwas ändern lässt. Manchmal bleibt jedoch nur die Chance, Unabänderliches anzunehmen. Dagegen können wir sehr wohl an unserer jeweiligen Einstellung zu den Dingen arbeiten.

Innere Stimmen wollen gehört und ernst genommen werden! So ist es beispielsweise auch mit dem inneren Kritiker und dem inneren Perfektionisten. Nur wenn wir zulassen, dass sie ZU laut werden, kommen wir aus dem Gleichgewicht. Ein gewisser kritischer Blick kann nicht schaden.

Statt einem „entweder – oder“ plädiere ich also für ein „sowohl – als auch“. Daher kombiniere ich beim Emmentaler-Prinzip das „Isso“ mit einem „und zugleich“. Würde ich ein „ja – aber“ entgegensetzen, würde das beim inneren Nörgler Widerstand auslösen und ihn zu noch lauteren Aktionen provozieren. Das „und zugleich“ wirkt dagegen in Richtung einer friedlichen Koexistenz. Beide Sichtweisen dürfen stehenbleiben. Du nimmst deiner nörgelnden inneren Stimme damit ein Stückweit den Wind aus den Segeln. (Das funktioniert übrigens auch bei menschlichen NörglerInnen. )

Wenn du das übst, wirst du merken, dass du dir mit der Zeit erlauben kannst, das Positive stärker in den Vordergrund zu setzen. Dein innerer Nörgler lernt, das auszuhalten, weil er immer noch da bleiben darf. Anders als Momos im Olymp …

Das Emmentaler-Prinzip

Hier ein paar Beispiele, wie das im Alltag aussehen kann:

„Mein Chef ist ein stiller Mensch, der am liebsten hinter geschlossener Tür sitzt. Ein totaler Eigenbrötler.“ „Isso, stimmt. Und zugleich weiß ich, dass er sich zuverlässig Zeit für mich nimmt, wenn ich ihn um einen Termin bitte.“

„Unser Kind ist nicht musikalisch (/sportlich/sprachbegabt/ …).“ „Isso, stimmt. Und zugleich ist es sehr beliebt und total tierlieb.“

“So ein Sch…wetter, den ganzen Urlaub hat’s uns verregnet!” “Isso, stimmt. Und zugleich hat uns der Regen Lese- und Spielzeit verschafft, die wir uns sonst nicht gegönnt hätten.”

Mein Emmentaler-Prinzip lautet also: Schau nicht nur auf die “Löcher” (also das, was fehlt oder nicht mehr da ist), sondern auch auf den “Käse” (die Ressourcen, das Positive, die Chancen)!

Abschließend muss ich einen unserer familieninternen Lieblingswitze loswerden: „Mama, ich mag die Löcher nicht!“ „Dann iss halt nur den Käse und lass die Löcher am Rand liegen.“

 

Übrigens: Dieser Aufsatz vom März 2018, den ich hier im Rahmen der Blauen Wochen mal wieder bekannter mache, ist Teil meines dritten Buchs “Wechsle mal die Brille! Impulse und Methoden zur Selbststärkung im Alltag”.

 

Und jetzt du: Welche Erfahrungen hast du mit der Verbindung von „Löchern“ und „Käse“? Wie bremst du deinen inneren Nörgler ein?

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